Pavia, Stadt der Kunst und der Wissenschaften

PAVIA: AUFBRUCH NACH DEM JAHR 1000

Die Anfänge der Stadt Pavia liegen im Dunkeln. Wahrscheinlich war an den Ufern des Flusses Tessin bereits unter dem Stamm der Ligurer eine Ansiedlung entstanden, die dann von den Römern 89 v. Chr. als colonia neu gegründet wurde. Im Mittelalter war Pavia Hauptstadt, sowohl unter Theoderich, König der Ostgoten (der hier seinen Königspalast erbauen ließ), als auch unter den langobardischen Herrschern, die die Stadt mit vielen prachtvollen Kirchen schmückten. Im 10. Jahrhundert erlebte Pavia eine Zeit des Verfalls, die 924 in der verheerenden Zerstörung durch die Ungarn gipfelte. Im Zuge politischer Veränderungen entwickelte sich Pavia jedoch bereits im ausgehenden 9. Jahrhundert zur freien Stadtrepublik und erlebte zu Beginn des neuen Jahrtausends eine Zeit des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aufbruchs. Ergebnis dieser Aufbruchstimmung war vor allem ein neuer architektonischer Eifer, der sich in den folgenden Jahrhunderten in einer regen Bautätigkeit äußerte. So wurden zahlreiche Gebäude aus der Antike nicht nur restauriert und erweitert, sondern es entstanden ganz neue Kultstätten. Die erstaunliche Dichte von Kirchen und Klöstern, die das Panorama der mittelalterlichen Stadt auszeichnete, ist zum einen der traditionellen religiösen Berufung der Stadt zuzuschreiben, zum anderen ihrer strategischen Lage an der Frankenstraße, dem Bußweg der Pilger ins Heilige Land. Die Stadt übte eine starke Anziehungskraft auf die Gläubigen aus, da in der Basilika San Pietro in Ciel d'Oro die Gebeine des hl. Augustinus‘, eines Kirchenlehrers, verehrt wurden. Die Notwendigkeit, die zahlreichen Pilger zu empfangen und ihnen ein Nachtlager anzubieten, ließ in Pavia ein effizientes Netz von Hospitälern entstehen, die zumeist an religiöse Einrichtungen angeschlossen waren. Die Lebendigkeit und Dynamik, mit denen sich Pavia in der Zeit als Stadtstaat hervortat, wurden auch im wirtschaftlichen Bereich deutlich. Pavia, von alters her Knotenpunkt der Hauptstraßen aus Nordeuropa, verzeichnete einen enormen wirtschaftlichen Auftrieb. Dies war nicht zuletzt auf die güngstige Lage am Tessin zurückzuführen, der nicht weit von Stadtkern entfernt in den Po mündet, einem bevorzugten Verbindungsweg mit Venedig und dem Osten. Während der zwei saisonalen Märkte an St. Martin und am Palmsonntag konnte man an den Ständen in Pavia exotische Produkte wie Teppiche, Stoffe, Parfüm und Gewürze finden, die Händler aus Neapel, Salerno und Amalfi anzogen. Dank seines Reichtums und seiner traditionellen Bindung an die kaiserliche Macht wetteiferte Pavia seit Ende des 9. Jh.s mit Mailand um die Rolle der kulturellen und politischen Hauptstadt der Lombardei.

DIE BLÜTEZEIT DER KUNST UNTER DEN VISCONTI UND DEN SFORZA

Das durch interne Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Familien zerstrittene Pavia wurde 1359 von Galeazzo II Visconti, dem Herrscher Mailands, erobert. Er und sein Sohn Gian Galeazzo machten die Stadt während der Zeit ihrer Herrschaft zum Ort gewaltiger städtebaulicher und kultureller Aktivitäten, mit dem Ziel, aus dem neuen Sitz des Hofes eine Hauptstadt von europäischem Rang zu machen. Mit dem Bau des Kastells, der Öffnung der Piazza Grande (heute Piazza della Vittoria), der Begradigung der Strada Nuova, dem Wiederaufbau der Brücke über den Tessin mit der charakteristischen Bedachung und dem Beginn verschiedener städtebaulicher Projekte im religiösen und weltlichen Bereich, erhielt die Stadt das spätgotische Aussehen, das sich bis zum heutigen Tag erhalten hat und wesentlich von der an Bauwerken verwendeten Terrakotta als Fliesen oder Reliefs geprägt ist. In diese Zeit fällt auch die Einrichtung des “Studium generale”, das in einer Urkunde Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1361 den Universitäten in Bologna, Paris und Montpellier gleichgestellt wurde. Die Certosa, mit deren Bau Ende des Jahrhunderts auf Wunsch von Gian Galeazzo Visconti begonnen wurde, sollte - nach dem Vorbild der Kartause von Champmol - der Dynastie der Visconti als Grablege dienen. Karthause und Universität trugen dazu bei, aus Pavia eine Stadt mit europäischem Flair zu machen.

DAS ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG

Nach der berühmten, für die Geschicke Europas bedeutsamen Schlacht von Pavia im Jahr 1525 erlebte die Stadt eine lange, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfassende Zeit des Niedergangs. Erst im 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, und mit dem Wechsel der Regierungsgewalt von den Spaniern zu den Österreichern konnte Pavia seine Vitalität und Geschäftstüchtigkeit wiedererlangen. Die Habsburger erwiesen sich als besonders aufmerksam gegenüber den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten der Stadt und brachten mehrere Reformen auf den Weg. Die Universität erlebte unter Maria Theresia von Österreich und ihrem Sohn Josef II. eine regelrechte Renaissance und konnte ihr Ansehen als eine der ältesten Universitäten wiederherstellen. Pavia wurde wieder zu einem der wissenschaftlich führenden Studienorte in Europa. Man eröffnete neue experimentelle Fachgebiete in Forschung und Lehre mit Lehrstühlen, die von überragenden Wissenschaftlern besetzt waren. Dazu zählen Antonio Scarpa, der Vater der Anatomie, Lazzaro Spallanzani, berühmt durch seine Experimente über die Befruchtung von Tieren und wohl auch deshalb, weil er eine der meistgeschätzten naturwissenschaftlichen Sammlungen seiner Zeit anlegte, sowie Alessandro Volta, berühmter Physiker und Erfinder der Batterie, der hier in Pavia seine Forschungen über die Elektrizität durchführte. Es begann eines der größten Wasserbauprojekte dieser Zeit: der Bau der Navigli, eines Systems schiffbarer Kanäle, basierend auf einer Idee Leonardo Da Vincis und 1772 nach dem Plan von Paolo Frisi ausgeführt. In den Siebzigerjahren des gleichen Jahrhunderts wurde auf Anregung von vier Adeligen aus Pavia nach einem neuartigen Plan von Antonio Galli Bibiena das erste öffentliche Theater, das Teatro dei Quattro Cavalieri, gegründet (heute Teatro Fraschini). Auch die Architektur erlebte eine neue Blütezeit. Es wurden prachtvolle Adelshäuser gebaut, prunkvoll verziert mit Freskenzyklen und verschwenderischem Stuckwerk, wie z. B. Palazzo Mezzabarba, Palazzo Olevano, Palazzo Gambarana, Palazzo Vistarino und Palazzo Brambilla. Trotz der politischen Umwälzungen gegen Ende des Jahrhunderts werden die Bemühungen zur Umgestaltung des Stadtbilds nicht aufgegeben. So werden beispielsweise die Zugänge zur Stadt wie die Porta San Vito neu gestaltet und neue Fürsorge- und Bildungseinrichtungen geschaffen. Dank Marchese Luigi Malaspina, einem Sammler und Architekten, der umfangreiche Bildung mit großem Gemeinsinn verband, entstand außerdem das erste städtische Museum.